Im letzten Jahr hatte ich mich nach 4 Jahren der Abstinenz erneut beim Berlinmarathon angemeldet. Ein Freund hatte mich motiviert, ihn zu begleiten. Berlin gehört neben New York, London, Boston und Tokyo zu den „Major Marathons“ und ist dementsprechend angesagt in der Läuferszene. Die Startplatzanfragen übersteigen die maximale Teilnehmerzahl von 47.000 bei weitem und so kann sich der Veranstalter die Teilnehmer aussuchen. Die Startplätze werden zum einen aufgrund von Zeiten vergeben, die nur sehr gute Läufer erzielen können (z.B. bei Läufern bis 59 Jahre (Jg. 1975 bis 1961): unter 2:55 Stunden), zum anderen werden sie verlost oder über Charity Partner und Reiseveranstalter vertrieben. Andreas und ich meldeten uns schon im Oktober für die Verlosung an und bekamen im November dann glücklicherweise beide einen Startplatz zugesagt.

Wir reisten zwei Tage vorher in die Bundeshauptstadt, um noch Sightseeing zu machen und rechtzeitig am ehemaligen Flughafen Tempelhof die Startunterlagen abzuholen. Ich hatte das Gefühl, dass im Vergleich zu 2015, meinem letzten Start in Berlin, noch einmal 10-15.000 zusätzliche Läufer starten wollten. Bei der Abholung am alten Flughafen, der nur noch für Messen, Modeveranstaltungen und andere kulturelle Events genutzt wird, war es wahnsinnig voll. Schon die U-Bahnstation „Platz der Luftbrücke“ platzte aus allen Nähten. Nachdem wir uns in die Eingangshalle des Flughafens vorgekämpft hatte, es regnete in Strömen, benötigen wir allein 40 Minuten auf dem Messegelände, um uns zu den Schaltern der Registrierung durchzukämpfen. Dabei wurden zweimal unsere Ausweise kontrolliert. Es sollte ausgeschlossen werden, dass Startnummern getauscht werden.

Die Startgebühren hatten sich gegenüber 2015 um fast 40% erhöht. Man rechtfertigte das unter anderem mit den erhöhten Sicherheitanforderungen nach den Vorfällen auf Großveranstaltungen, wie zum Beispiel dem Anschlag beim Bosten Marathon im April 2013.

Jeder Starter bekam ein Armband, wie beim „all inclusive Urlaub“ umgeschweißt, das am Wettkampftag gemeinsam mit der Startnummer die Legitimation zum Betreten der Startzone sein sollte. Nervig. Danach bewegten wir uns relativ zügig durch die Messestände in Richtung Ausgang und sahen erstaunt, wie viele andere Starter die Verstanstaltungsshirts, -trainingsanzüge, -regenjacken und ähnliche Souvenirs vom Hauptsponsor einkauften. Die wurden zum Teil vor Ort angezogen. Auf dem Rückweg zum Hotel begegneten uns viele Sportler im Marathondress.

Am Sonntag, dem Marathontag, frühstückten wir um 7:00 Uhr. Der Hotelspeisesaal war gefüllt mit Marathonis, die sich auf die Veranstaltung freuten: Neben Deutschen waren viele Asiaten, vor allem aus Korea und China, US-Amerikaner – laut Statistik sollten allein 5.000 von ihnen in Berlin starten – und Südamerikaner unter ihnen. Wie sich später herausstellen sollte, waren gerade die südamerikanischen Begleiter der Läufer extrem engagiert beim Anfeuern ihrer Landsleute auf der Strecke.

Um 8:15 Uhr machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof, um in 10 Minuten den Hauptbahnhof zu erreichen und von dort mit tausenden anderen Startern zum Marathongelände zu gehen. Unsere Starterbeutel waren durchsichtig und wurden beim Einchecken noch einmal kurz von Ordnern überprüft.

Andreas und ich sollten in der zweiten Startwelle 10 Minuten nach den Profis starten. Wir hatten als Zielzeit eine 3:20 h angegeben. Beim Start hatten wir nur 12 Grad, aber das fiel in der Menge der mit 37° temperierten Läufer nicht auf. Hier konnte man stehen ohne zu frieren. Die Stimmung war fröhlich gespannt.

Um 9:25 Uhr ging es dann los. Nach 4 Minuten hatten Andreas und ich die Startlinie überschritten und liefen langsam auf die „Goldelse“ zu, die Berliner Siegessäule von 1873, die an die Siege im Deutsch-Dänischen, im Deutsch-Österreichischen und Deutsch-Französichen Krieg erinnern sollte. Der Anblick der Läufermassen auf dieser 6-spurigen Straße war schon ein großartiger Anblick.

Um in 3:20 h im Ziel zu sein, muss man ungefähr 4:45 Minuten pro Kilometer laufen, was bei der vollen Strecke und dem Vorhaben, zusammenzubleiben, nicht einfach war. Also waren wir im Slalom unterwegs, um langsameren Läufern auszuweichen und ab Kilometer 5 regelmäßig die Versorgungsstände anzusteuern. Denn auch bei der kühlen Witterung ist die Flüssigkeitsaufnahme extrem wichtig.

Es war ordentlich was los an der Strecke. Nur an wenigen Abschnitten gab es Lücken am Straßenrand. Trotz der niedrigen Temperaturen waren viel Zuschauer anwesend. Dazu gab es noch viele Bands, die Musik machten oder DJ’s, die durch Auflegen von guter Musik unsere Schritte beschleunigten. Andreas hatte immer noch Zeit, um Kinderhände am Straßenrand abzuklatschen. Wollen wir mal hoffen, dass diese am Abend kräftig geschrubbt wurden!

Die flache, schnelle Berliner Strecke führte an vielen Sehenswürdigkeiten vorbei. Nach 7 Kilometern kam man zum erstenmal am Bundeskanzleramt und dem Reichstag vorbei, es folgten der Strausberger Platz bei Kilometer 12 mit den von der DDR-Führung im Stile des „Sozialistischen Klassizismus“ errichteten Wohnhäusern und einem großen Brunnen.

Nach 23 Kilometern erreichte man das Schöneberger Rathaus. Noch immer hatten wir das Gefühl, gerade erst gestartet zu sein, so voll war es auf der Strecke. Leider hatte es eine Viertelstunde zuvor mit Nieselregen angefangen. Die Wetterapp hatte uns das schon am Samstag so vorausgesagt. Es war uns schon beim Start klar, dass wir nicht trocken ins Ziel kommen würden. Der Stimmung an der Strecke tat die Nässe keinen Abbruch, denn neben den Berlinern fielen uns, wie schon erwähnt, die vielen Gäste aus Südamerika auf, die die Läufer mit Fahnen und Sprechchören lautstark anfeuerten.

Auf der Strecke: Noch läuft es gut!

Weiter ging es durch Steglitz, wo es gefühlt grüner wurde. Kurz vor dem Hot Spot bei Kilometer 28, dem „Platz am Wilden Eber“ mit Live-Musik und offizieller Moderation des Veranstalters, kamen wir an einer schönen und denkmalgeschützten Reihenhaussiedlung aus dem Jahr 1921 an der Zoppoter Straße vorbei, die mir bei meinen anderen Starts in Berlin so nicht aufgefallen war. Wer hier wohnt, wird wohl nicht so schnell wieder ausziehen. Es gab schöne Vorgärten, große Bäume und große Hinterhöfe. Mir gefiel es hier richtig gut. Auch hier standen viele Anwohner vor der Tür, klopften auf Kochtöpfen und riefen uns aufmunternde Worte zu.

Ich merkte mittlerweile, dass ich angestrengt war, Andreas jedoch noch immer locker tänzelnd die Kinder abklatschte. Und es kam, wie es kommen musste: nach 31 Kilometern trennten wir uns, nachdem wir uns einen kurzen Blick zugeworfen hatten. Jeder lief nun in seinem Tempo weiter. Allerdings entfernte er sich langsamer als gedacht von mir. Der Regen hatte weiter zugenommen und wir waren schon klatschnass. Zwar war uns nicht kalt, aber die Schuhe waren aufgrund der Pfützen voller Wasser und an der Nase leckten die Regentropfen herunter.

Nach 35 Kilometern erreichten wir endlich die Gedächtniskirche. Doch statt Richtung Siegessäule und Brandenburger Tor, dem Ziel, abzubiegen, mussten wir weiter Richtung Wittenbergplatz mit dem KaDeWe und anschließend zum Potsdamer Platz laufen. Bis Kilometer 35 hatten wir uns in in 4:50-4:52 min/km bewegt, ab Kilometer 35 konnte ich nur noch langsamer laufen und ich pendelte mich bei 5:20 min/km ein. Andreas war schneller.

Eigentlich bin ich ein Schlechtwetterläufer, aber mittleweile nervte mich die Dusche von oben. Als ich nach 40 Kilometern am schönen Gendarmenmark mit dem deutschen Dom, dem Konzerthaus und dem französichen Dom vorbeikam, bemerkte ich, dass ich schon 3:18 h unterwegs war und ich mich sputen musste, um mein Minimalziel Sub-3:30 h zu erreichen.

Die Spurrinnen auf Berlins Straßen hatten sich mit Regenwasser gefüllt und man musste des öfteren durch tiefe Pfützen schlappen. Endlich, nach 41 Kilometern, ging es um eine Kurve auf die Straße „Unter den Linden“ und das Brandeburger Tor kam in Sicht. Wo am Tag zuvor noch Hütchenspieler und eine Gruppe vermeintlich Taubstummer versuchten, Touristen abzuzocken, war die Strecke nun mit Zuschauern dicht gesäumt. Nach Durchlaufen des Brandenburger Tors hat man noch knapp 350m bis zum Ziel. Ich schaffte den Marathon 2019 in 3:29:26 h als 7802. (1300. der AK45).

Aufgrund des Regens und der niedrigen Temperaturen erübrigte sich der Genuss eines Bieres auf der Wiese vor dem Reichstag. Andreas traf ich, wie besprochen, bei der Kleiderbeutelausgabe wieder. Er hatte es in 3:23:03 h geschafft (6070. Platz, 1152. AK40) und damit seine neue Bestzeit aufgestellt.

Mit den Beuteln machten wir uns auf zu den Duschen. Für die Männer gab es nur 2 (!) Duschzelte, die schon bei uns überfüllt waren. Rein, runter und so schnell, wie es die müden Beine erlaubten, wieder raus, war die Devise. Im Anschluss schnappten wir uns noch den sparsamen Versorgungsbeutel – ein Buffet, wie bei anderen Veranstaltungen dieser Kategorie, gab es nicht – und ein alkoholfreies Bier und verließen das Marathongelände, um unsere Frauen zu treffen.

Nach dem Marathon (Stephan und Andreas)

Der Ausflug nach Berlin war schön. Die Helfer waren freundlich und immer hilfsbereit und gut vorbereitet. Schade war es, dass in diesem Jahr das Wetter nicht mitspielte und dem Gewinner, Kenenisa Bekele mit einer Zielzeit von 02:01:41 h nur 3 Sekunden zum neuen Weltrekord fehlten. Ansonsten muss man sagen, dass die 47.000 Starter selbst für die breiten Straßen Berlins zu viel sind, um entspannt im Mittelfeld sein Tempo laufen zu können. Es war nicht einmal für alle Starter Platz, den eigenen Kleiderbeutel abzugeben. Diejenigen, die sich zu spät für diese Option entschieden hatten, bekamen im Ziel nur einen dickeren Poncho als Kälteschutz. Im Zielbeutel befand sich eine kleine Packung mit Salzbrezeln, eine Banane, ein Apfel, ein Fertigcroissant (eine Entschuldigung geht nach Frankreich – das ist eigentlich keines), ein Riegel und eine Flasche stilles Wasser. Für diese hohe Startgebühr erwarte ich eigentlich etwas anderes.

Am Abend ging es mit dem auf die Minute pünktlichen ICE (ein Hoch auf die Bahn) zurück nach Hamburg. Ich hatte meine Sparsamkeit überwunden und sogar Sitzplätze gebucht, denn ich wollte die 1:45 h ungern im Gang stehen oder liegen. Zwei Tage später hatte ich den erwartet starken Muskelkater. So, wie sich nach einem Marathon, bei dem man sich angestrengt hat, gehört.

Geht es wieder zum Berlin Marathon? In den nächsten Jahren nicht, das steht für mich fest. Ich war nun bereits fünfmal dabei und es gibt noch genügend andere schöne Laufveranstaltungen, die es zu entdecken gilt.

Gerlacci